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Mit einem wahren Feuerwerk hat Europas Laufstar Sifan Hassan ihre Weltmeisterschaften von Doha beendet. Der 26-jährige Holländerin gelang das erste Doppel-Gold auf den nicht verwandten Laufdisziplinen über 10.000m und 1.500m. Dabei gilt das Doppel über 1.500m und 5.000m schon als…
Mit einem wahren Feuerwerk hat Europas Laufstar Sifan Hassan ihre Weltmeisterschaften von Doha beendet. Der 26-jährige Holländerin gelang das erste Doppel-Gold auf den nicht verwandten Laufdisziplinen über 10.000m und 1.500m. Dabei gilt das Doppel über 1.500m und 5.000m schon als die schwierigste benachbarte Zweier-Konstellation des Laufsports. War der Triumph über die 10.000m in diversen Passagen statistisch historisch, war es im Finale über 1.500m der gesamte Lauf. Die gebürtige Äthiopierin zimmerte die sechstschnellste 1.500m-Zeit aller Zeiten ins Khalifa Stadion – ohne Tempomacherin wohlgemerkt. Nur Weltrekordhalterin Genzebe Dibaba (2015) und vier chinesische Läuferinnen (1993), über die man heute weiß, dass sie nicht mit sauberen Mitteln gekämpft haben dürften, haben jemals schneller eine „metrische Meile“ absolviert als Hassan in Doha in 3:51,95 Minuten. „Ich habe heute gezeigt, was mit harter Arbeit möglich ist. Ich war so glücklich, als ich die Zeit gesehen habe“, kommentierte sie in der Stunde des Erfolgs wenig bescheiden. Mit ihrem Auftritt dominierte die Europameisterin von 2014 das Feld nach Belieben und legte eine ganze Klasse zwischen sich und den restlichen Teilnehmerinnen, die Landesrekorde, persönliche Bestleistungen und gar einen nordamerikanischen Kontinentalrekord produzierten. Mit gestenreichem Jubel überquerte die 26-Jährige die Ziellinie, ein Postkarten-Motiv, das sie ihrem suspendierten Trainer Alberto Salazar, zu dem sie keinen Kontakt aufnehmen darf, nachschicken kann. Während der Rest des bekannt starken Teilnehmerfeldes vor lauter Erschöpfung kaum wieder auf die Beine kam und Titelverteidigerin Faith Kipyegon nach einer überragenden Bestleistung nur mit Hilfe ihrer Landsfrau Winny Chebet und hinkend die Arena verlassen konnte, war die Holländerin längst auf ihrer Ehrenrunde. Im vergleichsweise leichten Schritt einer Gazelle.
So gelaufen wie im WM-Finale ist Sifan Hassan noch nie. Es kommt ohnehin selten vor, dass die Holländerin früh in Führung geht. In Doha tat sie das nach etwa 250 Metern, als sie die bis dahin führende Kanadierin Gabriela Debues-Stafford überholte. Ab diesem Zeitpunkt gab es in diesem ohnehin bereits schnell gestarteten Rennen nur noch absolutes Vollgas. Damit war klar, dass Hassan nicht nur das Rennen gewinnen wollte, nicht nur Leichtathletik-Geschichte schreiben wollte, indem sie als erste Frau überhaupt binnen einer Woche WM-Gold im 10.000m-Lauf und im 1.500m-Lauf verdiente, sondern dass sie ein kräftiges Signal in die Welt hinaus senden wollte. Eine Demonstration ihrer Stärke, die sie seit ihrem Wechsel ins Nike Oregon Project unter der – seit kurzem wohl ehemaligen – Schirmherrschaft von Alberto Salazar auf ihr natürliches Lauftalent aufgebaut hat. Wer so läuft wie Hassan bei ihren beiden Rennen in Doha, ist auf absehbare Zeit unschlagbar!
Muir auf dem falschen Fuß erwischt
Laura Muir, die sich nach dem Start nicht unüblicherweise ans Ende des Feldes fallen ließ, wurde völlig auf dem falschen Fuß ertappt. Mit dieser konsequenten Tempobolzerei jener Läuferin, die sie im Kampf um Gold herausfordern wollte, hatte die Schottin nicht gerechnet. Nach 400 Metern lag sie 1,2 Sekunden hinter Hassan, die eine Zwischenzeit von 1:03,53 Minuten verzeichnete. War die erste Runde schnell, so war die zweite sauschnell. Nach 2:05,95 Minuten stoppte die Zwischenzeit, fast zwei Sekunden unterhalb der ÖLV-Saisonbestzeit in der Spezialdisziplin. Auch nur drei ihrer Landsleute liefen heuer einen schnelleren 800m-Speziallauf (Hassan absolvierte heuer kein 800m-Rennen, Anm.). Doch es folgten ja noch 700 weitere Meter.
Laura Muir lag nach 800m noch eine knappe Sekunde hinter Hassan und arbeitete sich in ihrer Strategie, um die Medaillen kämpfen zu wollen, peu à peu nach vorne. Nach zwei Drittel der Distanz hatte die 26-Jährige Rang drei hinter Hassan und der gewohnt achtsam laufenden Faith Kipyegon erreicht, die demonstrierte, gut 15 Monate nach der Geburt ihrer Tochter Alyn ebenfalls ein Wort im Kampf um Gold mitsprechen zu wollen. Nach 1.200m stoppte Hassan die Zwischenzeit bei 3:07,41 Minuten, Muir und Kipyegon folgten. Doch während ihre Verfolgerinnen längst am Anschlag liefen, besonders die Europameisterin zeigte deutliche mimische Merkmale, dass sie am Limit war, begann das Rennen für die hoffnungslos überlegene Dominatorin neu.
Klassenunterschied auf der letzten Runde
Denn anfangs der letzten Runde setzte sich Hassan von der Spitze weg von ihren Verfolgerinnen ab. Doch der Eindruck täuschte: Es war kein gewaltiges, nur ein geringes Tempoforcing. Wäre es nach dieser Vorgeschichte zu einer klassischen Schlussrunde am Ende eines gemächlichen Rennens gekommen, wäre der Weltrekord von Genzebe Dibaba gefallen. So blieb Hassan auf den letzten 400 Metern knapp unter einer Minute, was angesichts der Vorleistungen auf den ersten 1.100 Metern Weltklasse Ist. Damit legte sie zwei Sekunden zwischen sich und Silbermedaillengewinnerin Kipyegon. 3:51,95 Minuten lautete das Ende eines schier unwirklichen, unvergesslichen Rennens. Ein Meisterschaftsrekord um sechseinhalb Sekunden, ein Europarekord um 0,52 Sekunden. Tatyana Kazankina war in längst vergangenen Sowjet-Zeiten 1980 in Zürich eine Zeit von 3:52,47 Minuten gelaufen, ein Rekord, der nun ins Archiv gestellt werden kann.
Ein bärenstarkes Comeback von Kipyegon
Hassans unvergleichliches Tempodiktat hatte natürlich zur Folge, dass praktisch das komplette Feld präsente statistische Einträge korrigierte. In ihrem dritten großen Wettkampf seit ihrem Comeback verbesserte Faith Kipyegon ihren kenianischen Landesrekord, der dreieinhalb Jahre alt war, um über zwei Sekunden auf eine Zeit von 3:54,22 Minuten und wies nach, in absoluter Topform nach Doha gekommen zu sein. Trotz einer Adduktorenzerrung im Sommer, die ihren Wettkampfplan durcheinander gewürfelt hat. Die Bronzemedaille war vielleicht die größte Überraschung. Die oft gerade in entscheidenden Phasen matt wirkende Gudaf Tsegay aus Äthiopien pulverisierte ihre persönliche Bestleistung um drei Sekunden und feierte mit der Bronzemedaille ihren größten Erfolg.
Landesrekorde der USA und Kanada fallen
Shelby Houlihans Granate von Schlussspurt kam ob des Höllentempos davor nicht wie gewohnt zur Geltung, Rang vier in einer Zeit von 3:54,99 Minuten bedeutete für die 26-Jährige eine Steigerung des US-amerikanischen Landes und nord- und mittelamerikanischen Kontinentalrekords von Shannon Rowbury aus dem Jahr 2015 um 1,3 Sekunden. „Bittersüß!“, befand sie. „Ich wollte unbedingt eine Medaille.“ Laura Muir, die auf der Zielgerade den fantastischen Leistungen der Kontrahentinnen wenig entgegen zu setzen hatte, blieb zum zweiten Mal in ihrer Karriere unter 3:56 Minuten. Sie absolvierte in Doha erneut kein Rennen ohne taktische Fehler – man erinnere sich an die Olympischen Spiele von Rio – und blieb erneut beim globalen Saison-Höhepunkt im Freien ohne Medaille. Wie viel Kritik gebührt einer Läuferin, die Saisonbestleistung läuft, unter 3:56 Minuten bleibt und frisch von einer leichten Muskelverletzung zurückgekommen ist? Jedenfalls fühlte sich Muir nach dem Rennen im flaschen Film: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin echt sprachlos. Ich bin eine 3:55er-Zeit gelaufen. Ich hätte mir nie gedacht, dass man mit so einer Leistung Fünfte werden kann…“
Immerhin gewann die Britin das Duell mit ihrer Trainingskollegin Gabriela Debues-Stafford, die in einer Zeit von 3:56,12 Minuten ihren eigenen kanadischen Landesrekord am Ende einer persönlichen Traumsaison um über drei Sekunden steigerte und nun in der ewigen CONCACAF-Bestenliste die Nummer zwei hinter Houlihan ist. „Ich habe alles reingehauen“, freute sie sich. Auch Winny Chebet und Ciara Mageean erzielten persönliche Bestleistungen, die mehrfache WM-Medaillengewinnerin Jenny Simpson lief ihr schnellstes Rennen der Saison, Medaillenchance hatte sie als Achte freilich keine. Auf ihre Einschätzung, dass eine Athletin von Alberto Salazar dieses Rennen auf diese Art und Weise dominiert hat, darf man gespannt sein. Denn der Routinier aus Colorado zählt seit Jahren zu den schärfsten Kritikern der Arbeit des Coaches im NOP, was die Medikation der Athleten betrifft. Und sie scheut sich selten davor, diese kritischen Worte auch an die Öffentlichkeit zu tragen. Das hat im US-Teamhotel in Doha in den letzten Tagen für einige Streitgespräche zwischen Sportlern gesorgt.
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