5.000m-Lauf der Männer, Vorschau: Sechs Argumente für ein goldenes Wunderkind

Jakob Ingebrigtsen bei seinem EM-Titel in Berlin über 5.000m. © Getty Images / Michael Steele

Er ist also rehabilitiert. Trotz vermeintlich eindeutiger Lage hat das Wettkampfgericht Argumentationen des norwegischen Gegenprotests akzeptiert. Jakob Ingebrigtsen darf im Finale über 5.000m starten und viele Experten sehen in ihm den großen Favoriten auf den WM-Titel. Dabei ist der Rohdiamant aus Sandness in Norwegen erst frische 19 Jahre alt und hat selbst als amtierender Europameister noch nie in einem WM-Finale gestanden. Außerdem sind die 5.000m nicht einmal seine Hauptdisziplin. Doch eine kräftige Leistungssteigerung, die ihn konstant über die gesamte Saison auf ein neues Level gehievt hat, macht den Youngster zum heißen Tipp im heißen Finale über die zwölfeinhalb Stadionrunden am Montagabend im heißen Doha. In Wahrheit ist Ingebrigtsen einer von mehreren Gold-Kandidaten in einem offenen Rennen, dem irgendwie einige spannungsgeladene Komponenten fehlen.
 
 
Bewerb: 5.000m-Lauf der Männer
Startzeit: Montag, 30. September um 21:20 Uhr Ortszeit (20:20 Uhr MEZ)
Olympiasieger 2016: Mo Farah (Großbritannien) *
Titelverteidiger: Muktar Edris (Äthiopien)
Rekord-Weltmeister: Mo Farah (Großbritannien) mit drei WM-Titeln
Erfolgreichste Nation: Kenia mit sieben WM-Titeln
WM-Rekord: Eliud Kipchoge (Kenia) in 12:52,79 Minuten (Paris 2003)
Weltjahresbestleistung: Telahun Bekele (Äthiopien) in 12:52,98 Minuten (Rom)
Favorit: Jakob Ingebrigtsen (Norwegen)
Co-Favoriten: Selemon Barega (Äthiopien), Filip Ingebrigtsen (Norwegen)
* mittlerweile im Marathon zu Hause
 
 

© Getty Images / Michael Steele
Es gibt sechs Argumente, die den Schluss zulassen, dass der potenzielle Zukunfsstar, der sportlich locker das Finale erreichte und sich nachher am Regelwerk vorbeischwindelte, tatsächlich der aussichtsreichste von vielen Kandidaten im Kampf um die Goldmedaille am Montagabend ist, obwohl er in der Auflistung der Saisonbestleistungen nur die Nummer sechs im Finale ist.
 
 
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Erstens: Seine Leistungssteigerung

Immerhin, die Nummer sechs. In seinem einzigen 5.000m-Lauf in dieser Saison verbesserte der Norweger seine vom dominant gewonnen EM-Titel in Berlin herrührende persönliche Bestleistung um satte 15 Sekunden auf eine Zeit von 13:02,03 Minuten. Damit ist er deutlicher Inhaber des Junioren-Europarekords mit mittlerweile 25 Sekunden Vorsprung auf den Briten Steve Binns (1979). Und neuer norwegischer Rekordhalter vor Marius Bakken und fast zehn Sekunden vor Filip Ingebrigtsen.
 

Zweitens: Seine Endschnelligkeit

Der größte Trumpf für Jakob Ingebrigtsen – und das gilt für Filip Ingebrigtsen, der im Vorlauf ebenfalls einen bärenstarken Eindruck hinterließ, genauso – ist seine eigentliche Spezialität. Denn die beiden Brüder kommen eigentlich von der Mittelstrecke und gehören im 1.500m-Lauf nächstes Wochenende ebenso zum Kreis der Medaillenanwärter. Diese gut geschulte Grundschnelligkeit wird über 5.000m in der Schlussphase eine bedeutende Eigenschaft sein – insbesondere bei taktisch geprägter, erster Rennhälfte, die das Pendel Richtung der beiden Nordeuropäer ausschlagen lassen könnte. Dass der älteste Ingebrigtsen, Henrik in den Medaillenkampf eingreifen könnte, ist übrigens unwahrscheinlich. Trotz norwegischem Rekord über 3.000m erlebte der Vize-Europameister eine eher bescheidene Wettkampfsaison 2019, komplettiert aber das historische Ereignis, dass drei Brüder in einem WM-Finale stehen. Sprich: 20% des Teilnehmerfeldes trägt den Nachnamen Ingebrigtsen. Oder noch dramatischer: 75% der europäischen Finalisten tragen den Nachnamen Ingebrigtsen. Denn der britische Olympia- und WM-Finalist Andrew Butchart war der Leidtragende der Rehabilitierung Jakob Ingebrigtsens und muss zuschauen. So ist aus europäischer Sicht nur mehr der kenianisch stämmige Belgier Isaac Kimeli, im vergangenen Winter bei der Crosslauf-EM in Tilburg Silbermedaillengewinner hinter Filip Ingebrigtsen, im 5.000m-Finale.
 

Drittens: Cheptegei hat verzichtet

Zwei Rennen hat Crosslauf-Weltmeister Joshua Cheptegei in der abgelaufenen Diamond-League-Saison gewonnen, darunter das Finale in Zürich. Er war also bisher der einzige, der die äthiopische Dominanz in dieser Disziplin durchbrechen konnte. Der 23-Jährige verfolgt ein großes Ziel: Er will Weltmeister über 10.000m werden, diesem Traum ordnet er alles unter. Trotz intakter Chancen auf ein Doppel verzichtete er daher auf ein Antreten über die halbe Distanz.
 

Viertens: Äthiopien hat ein junges Team nominiert

Freilich, es war die Qual der Wahl und die Nominierung des äthiopischen Verbandes, die aus einem Pool von fünf bis sechs Weltklasseläufern nach dem Diamond-League-Finale in Zürich auswählen musste, lässt sich sportlich teilweise vertreten. Aber die trotz ihres relativ jungen Alters sehr erfahrenen Läufer Hagos Gebrhiwet (25, WM-Silber 2013 und WM-Bronze 2015) und Yomif Kejelcha (22, zweifacher Hallen-Weltmeister über 3.000m, und zweifacher WM-Vierter) fielen der Selektion zum Opfer und sind in Doha nur über 10.000m am Start. Gebrhiwet gilt als gewiefter Taktiker mit Tempohärte, der beim Nike Oregon Project trainierende Kejelcha als Ausnahme-Talent. Da keiner der Äthiopier die Diamond-League-Gesamtwertung für sich entscheiden konnte, blieb dem Verband zudem nichts anderes übrig, als die Wildcard für Titelverteidiger Muktar Edris einzusetzen. Der Mann, dem vor zwei Jahren in London das Unwahrscheinliche gelang, den großen Mo Farah in dessen Wohnzimmer zu besiegen, lieferte eine sportlich grauenhafte Saison ab, zeigte aber einen guten Vorlauf. Beim Nominierungsverfahren schenkte der äthiopische Verband den jungen Telahun Bekele (20, Fünfter der Junioren-WM 2018 und mit seinem Triumph in Rom Weltjahresschnellste) und Abadi Hadis (21) den Vorzug, die keinerlei Unterdistanz-Erfahrung haben. Die erste Rache: Hadis, der völlig überraschend den Vorzug gegenüber Gebrhiwet bekommen hatte, flog im Vorlauf krachend raus. Und der letzte äthiopische Starter, Selemon Barega gilt zwar als einer der Top-Stars der Zukunft und war der mit Abstand konstanteste Läufer in diesem Jahr mit einem Diamond-League-Sieg und vier weiteren Top-Drei-Platzierungen. Im Alter von nur 19 Jahren schleppt er aber eine chronische Meisterschafts-Phobie mit sich. Bei den Afrikameisterschaften 2018 und den Junioren-Weltmeisterschaften 2018 blieb er jeweils als Top-Favorit ohne Medaille. „Wenn ich in der Diamond League laufe, fühle ich mich frei. Aber im Nationaltrikot von Äthiopien fühlt man die Verantwortung. Und Rennen ohne Tempomacher sind immer hart, weil unberechenbar“, sagte er einst in einem Porträt auf der Website des Leichtathletik-Weltvertbandes (IAAF). Beim Diamond-League-Finale in Zürich konnte er als Fünfter übrigens ebenso nicht überzeugen.
 

Fünftens: Außer Kimeli fehlen die besten Kenianer

Die erfolgreichste Nation bei WM-Entscheidungen über 5.000m leidet unter einer bitteren Durststrecke. Bei den Olympischen Spielen von Rio schaffte kein Kenianer den Sprung ins Finale. Man sollte es sich auf der Zunge zergehen lassen – kein Kenianer. Bei der WM 2017 lief es nur unwesentlich besser: Cyrus Rutto wurde 13., meilenweit hinter den Medaillen. Rutto ist mittlerweile wegen Dopings gesperrt. Die beiden besten Kenianer bei den nationalen Ausscheidungsrennen in Nairobi, Michael Kibet und Daniel Simiyu, sind nicht startberechtigt, weil sie als Nachwuchsathleten nicht genügend Dopingkontrollen nachweisen können. Und das müssen kenianische Athleten, da Kenia als eine von fünf Nationen eingestuft ist, denen ein großes Dopingproblem nachgesagt wird. Und Edward Zakayo, Junioren-Weltmeister von Tampere 2018, hatte Pech: Er erkrankte vor den Trials und wurde geschwächt nur Neunter. Zakayo und sein Landsmann Stanley Waithaka, der bei den Trials nicht dabei war, waren beim Junioren-WM Finale von Tampere, das fast so stark besetzt war wie das WM-Finale ein Jahr später, die einzigen beiden, die Jakob Ingebrigtsen besiegen konnten. Der letzte starke Kenianer, der für Doha übrig geblieben ist, ist Senkrechtstarter Nicholas Kimeli. Last-Minute-Nominierung Jacob Krop zeigte einen guten Vorlauf und ist ebenfalls dabei.
 

Sechstens: Die Familien-Hierarchie spricht zu seinen Gunsten

Dem ostafrikanischen Widerstand kann Jakob Ingebrigtsen also Gegenargumente entgegen bringen. Den anderen Kontrahenten, von denen wohl Bruder Filip der Stärkste ist, auch. Denn Jakob hält die klare Familienbestzeit im 5.000m-Lauf und gewann vier der sechs direkten Duelle der beiden in dieser Saison auf den Mittelstrecken. Der US-Amerikaner Paul Chelimo, Olympia- und WM-Medaillengewinner, blickt auf eine unkonstante und wenig berauschende Saison zurück, schaffte den Sprung ins Finale aber mit einem Schuh, nachdem er den anderen in der Schlussphase verloren hatte. Ebenfalls nicht so stark wie im letzten Jahr war Birhanu Balew aus dem Bahrain in den letzten Monaten. Einige starke Leistungen zeigte der Kanadier Mo Ahmed, aber WM-Favorit… Und der Australier Stewart McSweyn hat zwar eine WM-Medaille angekündigt, den Nachweis einer möglichen Realisierung dieses Traums muss er allerdings erst liefern.
 
 
WM-Zeitplan
Leichtathletik-Weltverband
Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2019 in Doha

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